Seit meiner Jugend interessiert mich die Psychologie mit ihren vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten sehr – nicht zuletzt, weil ich immer eine starke Verbindung zwischen Schach bzw. Schach-Leistungssport und Psychologie wahrgenommen habe. Das war auch der Grund dafür, warum ich mich für mein Psychologiestudium und einen anschließenden Master in Arbeits- und Organisationspsychologie entschieden habe. Seitdem wende ich mein psychologisches Wissen sowohl beruflich im HR- / Personalbereich als auch im Schachkontext an.
Vor einiger Zeit habe ich mit der Positiven Psychologie einen weiteren Teilbereich der Psychologie kennengelernt. Für die Erforschung von Faktoren für ein gelingendes, erfülltes und glückliches Leben konnte ich mich sofort begeistern und habe auch direkt viel Potential für mein Lieblingshobby Schach entdeckt.
Mit diesem Artikel möchte ich allen Schach- und Psychologieinteressierten einen Überblick über die Positive Psychologie sowie ihre Anwendungsmöglichkeiten im Schach geben. In vertiefenden Beiträgen werde ich mir dann einzelne Aspekte davon herausgreifen und diese weiter im Detail beleuchten sowie konkrete Tipps für Schachspieler:innen ableiten.
Positive Psychologie
Die Positive Psychologie beschäftigt sich mit positiven Aspekten des menschlichen Lebens wie zum Beispiel Faktoren für Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit aber auch Stärken, Talenten und positiven Emotionen. Obwohl diese Themen bereits in der Antike Aufmerksamkeit (z.B. von Aristotelis) erhielten, handelt es sich um eine verhältnismäßig junge Forschungsrichtung, die erst in den 1990er Jahren durch Martin Seligman in den Fokus der psychologischen Wissenschaft rückte.
Inzwischen haben die Erkenntnisse der Positiven Psychologie bereits Einzug in verschiedene Anwendungsbereiche erhalten. Hier ist zum einen die Psychotherapie, aber auch die Arbeitswelt (Positive Leadership) und Pädagogik zu nennen. Ein wichtiger Anwendungsbereich ist zudem die persönliche Weiterentwicklung sowie persönliches Wohlbefinden.
PERMA-Modell für persönliches Wohlbefinden
Als Grundlage der Positiven Psychologie beschreibt das PERMA-Modell von Martin Seligman fünf wesentliche Faktoren für ein gutes, erfülltes und damit glückliches Leben. Das Akronym PERMA steht dabei für die folgenden Bereiche:
- Positive Emotionen
- Engagement, also das Erkennen und Nutzen der eigenen Stärken und das Erleben von Flow
- Relationships, also Beziehungen
- Meaning, also Sinnerleben
- Accomplishment, also das Erreichen von Zielen und Selbstwirksamkeit
Da auch die körperliche Gesundheit eine wichtige Rolle für ein glückliches und erfülltes Leben spielt, werden diese fünf Säulen oft um den sechsten Faktor “V”, der für Vitalität steht, ergänzt.
Alle Bereiche wurden in den letzten Jahren gut erforscht. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse lassen sich nicht nur auf die allgemeine Lebensführung, das Bildungswesen und die Arbeitswelt, sondern auch auf die Freizeitgestaltung übertragen.
Positive Psychologie im Schach
Durch die Forschungsbereiche der Positiven Psychologie ergeben sich also auch für das Schachspielen viele spannende Fragestellungen und Hypothesen. Zum Beispiel wie sich Schach als Hobby auf das Wohlbefinden auswirkt, die Bedeutung von Flow-Erleben für das Schachtraining sowie die Idee einer stärkenorientierten Trainingsweise für mehr Engagement und positive Emotionen beim Schach.
Für mehr Glück und Zufriedenheit durch Schach, sehe ich unter anderem folgende Ansatzpunkte:
Schach macht glücklich
Das Glücksgefühl, das man nach einer umkämpften Schachpartie mit positivem Ergebnis empfindet, hat definitiv Suchtpotential. Wenn es sich dann auch noch um eine:n besonders starke:n Gegner:in handelt, halten die positiven Emotionen in der Regel mehrere Stunden, teilweise Tage an.
Schach hat daher definitiv das Potential, sich positiv auf die erste PERMA-Dimension – die positiven Emotionen – auszuwirken, auch wenn es neben den Gewinnpartien auch einige Verlustpartien geben wird.
Aber auch leistungsunabhängig lassen sich positive Emotionen durch Schach erzielen. Sei es der gemeinsame Spielabend in freundschaftlicher Runde, das Schachturnier an einem besonderen Ort oder die Begeisterung, die das Verfolgen eines WM-Kampfes oder einer interessanten Schachpartie auslöst.
Flow-Erleben beim Schachspielen
Bei der zweiten PERMA-Dimension (Engagement) habe ich direkt eine schachspielende Person im Kopf, die tief in ihre Partie versunken ist und nichts von der Umwelt mitbekommt. Ich persönlich erlebe beim Schach regelmäßig einen sogenannten Flow-Zustand, der mit „völliger Vertiefung (Konzentration) und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit“ beschrieben werden kann.
Wertvolle Schach-Beziehungen
Auch wenn Schachspieler:innen oft mit Einzelgängertum und Introversion in Verbindung gebracht werden, entstehen beim Schach sehr wertvolle und bedeutungsvolle soziale Beziehungen. Ein Großteil meines Freundeskreises stammt aus der Schachszene und auch meinen Mann habe ich beim Schach kennengelernt.
Somit kann Schach auch auf die dritte Säule – die Beziehungen – positiv einzahlen. Der Effekt lässt sich durch eine Vereinsmitgliedschaft, gemeinsame Turnierfahrten, eine Trainingsgruppe etc. noch verstärken.
Warum spielst du Schach?
Für ein Sinnerleben beim Schach ist es hilfreich, dich mit deinem Warum auseinanderzusetzen. Warum spielst du Schach? Ist es die Freude am Spiel, das Streben nach mentaler Fitness oder der Wunsch nach einem gemeinsamen Hobby mit deinen Kindern, was dich zum Schach gebracht hat?
Was auch immer es ist – ruf es dir immer wieder ins Gedächtnis, um das Gefühl der Sinnhaftigkeit und somit auch deine Motivation und deine positiven Gefühle zu verstärken. Anregung zu dem Thema findest du auch unter „10 Gründe warum du Schach lernen solltest“.
Selbstwirksamkeit durch Erreichen deiner Schach-Ziele
Ziele im Schach zu haben ist eng mit der Idee der Sinnhaftigkeit verknüpft. Wenn du Ziele verfolgst, die dir sinnvoll erscheinen, dann trägst du automatisch zu deinem Wohlbefinden und persönlichen Glück bei. Weil es dein Selbstwertgefühl pusht, wenn du Ziele erreichst, wirst du automatisch auch selbstbewusster und zufriedener.
Umso wichtiger ist es, dass du dir deine Ziele gut setzt und dann kontinuierlich an ihnen arbeitest. Hilfestellung liefert der folgende Artikel: Motivation für dein Schachtraining
Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Schach auf alle Säulen des persönlichen Wohlbefindens positiv auswirken kann. Damit kannst du dein Lieblingshobby wunderbar nutzen, um insgesamt zufriedener und glücklicher durchs Leben zu gehen. Na wenn das mal kein extra Motivationsschub ist!